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Das politische Testament Friedrichs II. von Preußen von 1752

Das politische Testament Friedrichs II. von Preußen von 1752

 

Frank Althoff

 

Staatsmänner verfassen politische Testamente häufig in außergewöhnlichen Krisensituationen oder gar gegen Ende ihres eigenen Lebens. Was aber bewog einen Herrscher Brandenburg-Preußens, im Alter von 40 Jahren sein (erstes) politisches Testament niederzuschreiben?[1]

Auf der einen Seite befand sich Friedrich der Große im Jahre 1752, nach zwei Waffengängen um das frühere österreichische Schlesien, auf einem Höhepunkt seiner Macht und er sann darauf, das Erreichte zu bewahren und zu sichern wie seinen eigenen Augapfel. Doch im Konzert der Mächte wurde Preußen nicht nur ernst genommen, sondern von vielen auch als eine Bedrohung empfunden. Preußen wurde als ein Zerstörer eines Europa bis 1740 stabilisierenden Gleichgewichts angesehen, den es wieder in die Schranken zu weisen galt. Letztere Haltung traf vor allem auf Maria Theresia zu, die die Eroberung Schlesiens durch Preußen mit lebenslangem Revanchismus beantwortete. Insofern war der Friede zu Dresden, der den Zweiten Schlesischen Krieg im Jahre 1745 beendete, nur als ein Waffenstillstand zu betrachten. Auf der anderen Seite hatte Friedrich II. seit seinem Regierungsantritt auf innenpolitischem Gebiet wichtige Reformen angeschoben, sodass es geboten erschien, in einer Art Zwischenbilanz Rückschau zu halten.

So beteuerte der König zunächst, und hob dies in Anlehnung an seine Ausführungen im Antimachiavell hervor, dass es die Pflicht eines jeden Bürgers sei, dem Vaterlande zu dienen, er verfolge keine andere Absicht bei der Abfassung dieses Testaments als der Nachwelt seine Erfahrungen zu vermitteln, worunter der König seine Nachfolger verstanden wissen wollte. Das politische Testament war somit nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Es enthält, auch und gerade im außenpolitischen Teil, durchaus brisante Passagen, weshalb es auch erst in den 1920er Jahren vollständig ediert worden ist. Vier große Themenfelder wurden behandelt, die der König als Hauptpfeiler seiner Politik bezeichnete: Rechtspflege, Finanzen (einschließlich aller Fragen der Wirtschaftspolitik), Militärwesen sowie (innere und auswärtige) Politik.

Für den Bereich der Rechtsverwaltung behandelte der König die gemeinsam mit seinem Großkanzler Samuel von Cocceji in Angriff genommene Justizreform, die zunächst nur den Zivilprozess betraf und die eine Vereinheitlichung der Gesetzgebung sowie eine Straffung der Prozesse durch Verkürzung des Instanzenweges zur Folge haben sollte. Anstelle bisheriger religiöser Fundierung sollte den Prinzipien des Naturrechts Geltung verschafft werden.[2] Darüber hinaus hatte sich Friedrich II. fest vorgenommen, »niemals in den Ablauf der Gerichtsverfahren einzugreifen«, was er allerdings nicht einhielt. In den Gerichtshöfen sollten die Gesetze sprechen und der Souverän habe zu schweigen.[3] Zwei Räte des obersten Gerichts wurden alle drei Jahre auf Inspektionsreisen durch die Provinzen entsandt, um die Tätigkeit der lokalen Justizbehörden zu kontrollieren.

Die Ordnung in den Finanzen war für den König, der sich die unmittelbare Finanzaufsicht vorbehielt, die Grundbedingung einer soliden Politik schlechthin, denn sie garantierte Unabhängigkeit von anderen Mächten. Nur mithilfe des in den Kellern des Berliner Schlosses verwahrten Staatsschatzes seines Vaters war er überhaupt in der Lage gewesen, die ersten beiden Kriege um Schlesien zu finanzieren.[4] Dass die wachsende Staatsverschuldung fremder Mächte wie Sachsen, Frankreich und Holland nicht nur deren ambitionierten außenpolitischen Zielen zuwiderlief, sondern darüber hinaus den Keim für einen Verfall des Gemeinwesens in sich trug, war ihm, seinen Ausführungen zufolge, sehr wohl bewusst.[5] Der König hob hervor, dass dem Staat keine anderen Quellen als seine eigenen Einkünfte zur Verfügung stünden und schrieb: »Wir haben weder ein Peru noch reiche Handelsgesellschaften, noch Banken, noch andere Quellen wie die Franzosen, Spanier und Engländer, aber mittels unseres Gewerbefleißes kann es uns gelingen, uns an ihrer Seite zu behaupten«.[6] Es ist daher kein Zufall, dass er ebendiesen Quellen und Ressourcen (Akzise bzw. Kontribution, Einnahmen der Domänenkasse) seine besondere Aufmerksamkeit widmete und dabei auch über seine persönlichen Einnahmen Rechenschaft ablegte.

Die Peuplierungspolitik wurde eingehend behandelt. Denn überall in Europa hatte der Preußenkönig in der »Zwischenkriegszeit« um Fachkräfte geworben. Pfälzer und Böhmen, Polen und Sachsen, Württemberger, Schweizer und Mecklenburger besiedelten das leere Land, womit der König auch die Menschenverluste aus den ersten beiden Kriegen auszugleichen gedachte. Oftmals waren sie aus religiösen Gründen aus ihrer Heimat vertrieben worden und fanden nun in Preußen einen »Hort der Toleranz« unter einem König, der für sie über 1.000 neue Kolonistendörfer gründete. Häufig folgten sie auch den Aussichten auf materielle Besserstellung durch die gewährten finanziellen Starthilfen und steuerlichen Vergünstigungen. Dieser auch als »Binnenkolonisation« bezeichnete Prozess ging einher mit der Trockenlegung von Oder-, Netze- und Warthebruch, wodurch Friedrich der Große ohne Schwertstreich drei neue Provinzen gewinnen sollte. Die Förderung neuer Wirtschaftszweige und Industrien wie des Seidenanbaus und der Wollmanufakturen stand ebenfalls im besonderen Fokus des Königs.

Für den Bereich der inneren Politik machte der Preußenkönig unmissverständlich klar, dass er den Adel als den ersten Stand und als die wichtigste Stütze des Staates betrachtete, den es gegen das aufstrebende Bürgertum und gegen »maßlose« bäuerliche Forderungen zu schützen galt. Als wichtigstes Reservoir für die militärische Elite sowie für die Besetzung höherer Verwaltungsposten zwang ihn der König hingegen unnachsichtig in den Staatsdienst.[7]

Die autokratische Herrschaft betrachtete Friedrich II. als Voraussetzung für die Lebensfähigkeit Preußens und die Effizienz seiner Regierung. Eine Selbstregierung erforderte die Zentralisierung und Leitung aller Bereiche. »Ein System kann nur aus einem Kopf entspringen«, konstatierte er nüchtern und verwies wieder einmal mehr auf das negative französische Beispiel, bei dem der König zwar formal »absolut« regiere, die eigentliche Macht jedoch in den Händen von vier Ministern liege, unter denen keine Verständigung stattfinde. Eifersüchteleien und Intrigen führten dazu, dass es kein System und keinen Plan gebe, sondern vielmehr der Zufall herrsche. So lehnte der König konsequenterweise kollegialische Entscheidungen ab und ließ sich von seinen Ministern mündlich oder schriftlich das Für und Wider in strittigen Fällen vortragen, um dann allein eine Entscheidung zu fällen, denn: »Ein klarer Kopf erfasst mit Leichtigkeit den springenden Punkt einer Frage«. Diese Herrschaftspraxis ist als »Regierung aus dem Kabinett« in die Geschichte eingegangen.[8]

Dass der Preußenkönig nicht nur für den Frieden arbeitete und dachte, wird allerdings in seinen Aussagen zur Außenpolitik, die im politischen Testament einen zentralen Platz einnehmen, mehr als deutlich. Zwei Gesichtspunkte waren es, von denen sich der König in seinen folgenden Ausführungen leiten ließ: Erstens die furchtbaren Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges, der die brandenburg-preußischen Territorien in ein ausgesprochenes Durchzugsgebiet für fremde Heere mit all ihren Folgen wie Plünderungen und Brandschatzungen verwandelt hatte und zweitens die Tatsache, dass es sich im Falle Preußens eben noch nicht um einen kompakten Flächenstaat handelte.[9] Seine Besitzungen verstreuten sich vom Rhein bis an die Memel. Daraus erwuchs nicht nur ein ständiger Zwang zu innerer Konsolidierung. Da sich dieser Staat in seiner Existenz als gefährdeter empfand als andere, standen machtvolle Landesdefension und eine ständig zu verfolgende Arrondierungspolitik an erster Stelle der außenpolitischen Maximen. Der König wies nicht nur seine Nachfolger nachdrücklich darauf hin, Kriege ausschließlich aus Staatsinteresse und nicht aus Eitelkeiten heraus zu führen;[10] er fand sich nun sogar dazu bereit, Machiavelli zu rehabilitieren, den er in seiner Kronprinzenzeit wegen dessen politischer Skrupellosigkeit im »Antimachiavell« heftig angegriffen hatte. Nun schrieb er mit aller Deutlichkeit: »Machiavell sagt, dass eine selbstlose Macht, die sich zwischen ehrgeizigen Mächten befände, endlich zugrunde gehen müsse. Das verdrießt mich sehr, aber ich muss zugeben, dass Machiavell Recht hat«.[11]

Der König analysierte die Interessenlage einzelner europäischer Staaten, allen voran derjenigen, die Preußen gefährlich werden konnten, sofern es Österreich gelänge, diese in einer antipreußischen Koalition zu vereinen. Zu letzteren zählte er zu diesem Zeitpunkt England, Russland, Sachsen und die Niederlande. Friedrich II. rechnete fest mit einer österreichischen Revanchepolitik, die danach trachtete, dem Staat Preußen Schlesien wieder zu entreißen und ihn auf das Maß einer mittleren Macht zurückzustufen. Den habsburgisch-bourbonischen Gegensatz hielt er nach wie vor für so stark, dass er davon ausging, dass in einem künftigen Konflikt Frankreich unausweichlich auf Seiten Preußen kämpfen würde.[12] Diese Kalkulation sollte sich 1756 als ein schwerer Irrtum herausstellen, da es dem österreichischen Staatskanzler Fürst Kaunitz mittlerweile gelungen war, einen Einkreisungsring um Preußen zu schmieden. Vorausgegangen war der vergebliche Versuch des Königs im Januar 1756, über eine Allianz mit dem Londoner Hof (Westminster Konvention), Russland zu neutralisieren und aus dem sich anbahnenden Dritten Schlesischen Krieg herauszuhalten. Das Versailler Kabinett wurde auf diese Weise in die Arme Maria Theresia getrieben. Damit sollte 1756 fast ganz Europa gegen Preußen in Waffen stehen.

1752 ging der König noch davon aus, dass es ihm niemals an Bundesgenossen fehlen werde.[13] »Wir verbünden uns mit den Feinden unserer Feinde«,[14] war sein außenpolitisches Credo. Von der Zuversicht geprägt, dass ein künftiger Krieg mit der Habsburgermonarchie unter erfolgversprechenden Kräftekonstellationen geführt werden könne, wandte sich der König in seinem politischen Testament neuen Projekten zu, die er unter der Überschrift »Politische Träumereien« zusammenfasste. Die Kernaussagen in diesem Teil belegen, dass der König den preußischen Staat als noch nicht saturiert, dessen Basis für eine unangefochtene Großmacht als noch zu schmal erachtete.[15] Die Rede ist von künftigen Erwerbungen, die Preußen bei sich bietenden günstigen Gelegenheiten tätigen sollte. In erster Linie dachte der König an schwedisch Pommern, polnisch Preußen (Westpreußen), vor allem aber an Sachsen. Alle drei »Provinzen« würden Preußen trefflich abrunden. Sehr detailliert legte Friedrich der Große diese Umstände dar, die zu einem Einmarsch in das Kurfürstentum führen und die Vorteile, die sich aus einem solchen Zugewinn ergeben würden. So würde Sachsen Berlin abschirmen und die Kurmark verteidigungsfähiger machen. Aber erst und nur dann, wenn Russland und Österreich ihrerseits in Kriege verwickelt seien, wäre ein halbwegs geeigneter Zeitpunkt gekommen.

Unter den führenden Preußenforschern des Wilhelminischen Kaiserreiches ist bereits in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts eine heftige Diskussion darüber entbrannt, ob es sich bei diesen »Politischen Träumereien« um ein strategisches Programm mit Zielen handele, die der Preußenkönig in allernächster Zeit umzusetzen beabsichtigte. Hauptstreitpunkt waren die Kriegsziele, die Friedrich der Große im Siebenjährigen Krieg verfolgt hatte. In seiner Auseinandersetzung mit Albert Naudé und Reinhold Koser, die den Siebenjährigen Krieg aus preußischer Sicht als einen Defensivkrieg bezeichneten, unterstellte Max Lehmann dem Preußenkönig, 1756 einen offensiven Eroberungsfeldzug vom Zaune gebrochen zu haben. Das darf allerdings, nach allem was wir heute wissen, bezweifelt werden. Zwar handelte der Preußenkönig im August 1756 scheinbar nach dem im politischen Testament 1752 skizzierten »Fahrplan«. Doch die von ihm genau benannten günstigen Rahmenbedingungen waren Mitte der 50er Jahre in keiner Weise gegeben – im Gegenteil: Friedrich der Große befand sich in einer strategisch und bündnispolitisch äußerst prekären Situation. Es handelte sich daher beim Einmarsch des Königs in Sachsen vielmehr um einen Präventivschlag mit dem Ziel, die ihn umgebenden und belauernden Feindmächte einzeln zu stellen und zu schlagen. Letzteres ist ihm, obwohl Preußen zeitweise am Rande des Abgrundes stand, am Ende auch gelungen.

Doch um für derartige Kriege gerüstet zu sein, bedurfte es einer starken Armee, die in Friedenszeiten auf den Ernstfall vorbereitet werden musste. Diesem Zweck dienten u. a. regelmäßige Revuen und Manöver, in die alle Waffengattungen einbezogen wurden. Der König begründete die Notwendigkeit, dass ein Fürst selbst fachkundiger Oberbefehlshaber sein müsse mit Verweis auf das schlechte Beispiel seiner gekrönten Nachbarn und dessen schädliche Konsequenzen für eine erfolgreiche Führung sowie für die Aufrechterhaltung von Disziplin und Ordnung in den Truppen.[16] Er erläuterte Sinn und Zweck des Kantonsystems, durch den dank der in Preußen festgelegten Rekrutierungsbezirke den Truppen in Friedens- und auch in Kriegszeiten stets neue Rekruten zugeführt werden konnten.[17]

Ein letzter Abschnitt behandelt das nicht minder wichtige Thema der Prinzenerziehung, das heißt den Plan für die Heranbildung eines künftigen Königs von Preußen. Dabei vertrat Friedrich der Große durchaus modern wirkende Auffassungen. Er wandte sich gegen alle Erziehungsformen, die den künftigen Souverän zu einem »göttlichen Wesen« oder einem »glücklichen Nichtstuer« formen sollten.[18] Ohne Großtuerei und Prunk solle der Prinz wie ein Privatmann erzogen werden.[19] Der König empfahl ein genau auf die jeweilige Altersstufe des Thronerben sinnvoll abgestimmtes, differenziertes Unterrichtsprogramm, bei dem die Wissensvermittlung nicht abstrakt und trocken erfolgen, sondern vielmehr zum Ziel haben müsse, den Geist des Prinzen anzusprechen.[20] Der Unterrichtsstoff sollte nicht isoliert von der Außenwelt vermittelt werden, sondern im Gegenteil in ständiger Berührung mit der Lebenswirklichkeit. Da das Heer die Basis des Staates war, sollte dem Heranwachsenden die Liebe zum Waffenberuf nahegelegt werden. Schrittweise müsse letzterer mit den Aufgaben und Pflichten in verschiedenen Diensträngen vertraut gemacht werden, sodass ihm schließlich die Führung eines Regimentes anvertraut werden könne. Ab dem 20. Lebensjahr habe der Thronfolger Provinzen zu bereisen, mit Offizieren und Verwaltungsbeamten zu kommunizieren, damit nicht eines Tages »ein Unbekannter Unbekannte« regiere.[21] Erklärtes Erziehungsziel des Königs war es, seinen Nachfolger an ein arbeitsreiches, tätiges und sparsames Regierungshandeln[22] zu gewöhnen, so wie er es selber vorgelebt hatte.


[1] Die Ausfertigung des Testaments befindet sich im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (künftig zitiert: GStA PK) unter der Archivsignatur: GStA PK, BPH, Urkunden III. 1. Testamente, Nr. 21.

[2] Vgl. Johannes Kunisch, Friedrich der Große. Der König und seine Zeit. München 2004, S. 291.

[3] Richard Dietrich, Die politischen Testamente der Hohenzollern (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Bd. 20), Köln/Wien 1986, S. 257.

[4] Vgl. Gerd Heinrich, Friedrich II. von Preußen. Leistung und Leben eines großen Königs. Berlin 2009, S. 68.

[5] Dietrich, Die politischen Testamente, S. 259.

[6] Ebd., S. 261.

[7] Ebd., S. 309–313.

[8] Ebd., S. 325–329.

[9] Ebd., S. 331.

[10] Ebd., S. 345 und 349.

[11] Ebd., S. 367.

[12] Ebd., S. 339.

[13] Ebd., S. 345.

[14] Ebd., S. 351.

[15] Vgl. Otto Hintze, Das politische Testament Friedrichs des Großen von 1752, in: ders., Gesammelte Abhandlungen (Geist und Epochen der preußischen Geschichte, Bd. 3), Leipzig 1943, S. 468.

[16] Dietrich, Die politischen Testamente, S. 405.

[17] Ebd., S. 411.

[18] Ebd., S. 449.

[19] Ebd., S. 455.

[20] Ebd., S. 453.

[21] Ebd., S. 459.

[22] Ebd., S. 461.