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Das politische Testament des ‚Großen Kurfürsten‘ Friedrich Wilhelm von Brandenburg von 1667

Das politische Testament des ‚Großen Kurfürsten‘ Friedrich Wilhelm von Brandenburg von 1667

Michael Rohrschneider

Kontextualisierung und Quellenanalyse

Konkreter Anlass für die Abfassung des politischen Testaments vom 19. Mai 1667 (alten Stils) war die schwere Erkrankung der Kurfürstin Louise Henriette, die nur einen Monat später im Alter von 39 Jahren verstarb. In dieser für ihn und seine Familie zweifellos sehr belastenden Zeit hatte der damals 47-jährige Kurfürst offenbar das Bedürfnis, Vorkehrungen für den Fall seines eigenen Todes zu treffen und dem Nachfolger[1] in schriftlicher Form seine politischen Erfahrungen, Maximen und Handlungsempfehlungen zu hinterlassen, sodass diesem die Regirung nicht schwer sonderen gantz leich fur kommen werde.[2] Von der außerordentlichen Bedeutung, die der Kurfürst diesem Schriftstück beimaß, zeugt der Schlusssatz, der den Arkancharakter seiner Ausführungen deutlich vor Augen führt: Vndt hab ich diesses auß meinem eigenhandigen concept abgeschriben, welches ich alsofordt darauf verbrandt [...].[3]

Von Kurfürst Friedrich Wilhelm sind vergleichsweise wenige Texte mit Reflexionen grundsätzlicher politischer oder militärischer Natur überliefert. Hierzu zählen vor allem eine eigenhändige Denkschrift aus dem Jahr 1647, in der er die charakteristische Mittellage seiner Lande im Spannungsfeld der Interessen der großen europäischen Mächte beschrieb,[4] darüber hinaus aus den späten Regierungsjahren sein Angriffsplan gegen Frankreich (1686)[5] und eben sein politisches Testament von 1667. Nicht streng systematisch und mitunter etwas sprunghaft, aber doch einer grundsätzlichen Gliederung folgend, legte Friedrich Wilhelm hier nacheinander seine kirchen-, innen- und außenpolitischen Grundsätze sowie konkreten militärorganisatorischen Empfehlungen dar.

Entsprechend seinem patriarchalischen Selbstverständnis als christlicher Herrscher, der nicht nur für sein eigenes Seelenheil, sondern auch für das seiner Untertanen Sorge trug, stehen am Beginn seiner Ausführungen religiöse Ermahnungen sowie konfessionspolitische Leitgedanken. So empfahl er seinem Nachfolger explizit die Förderung von Reformierten und verständigungsbereiten Lutheranern. Angehörigen der römisch-katholischen Religion solle dagegen nicht mehr zugestanden werden, als ihnen rechtlich zukomme. Mit dem von Friedrich Wilhelm in diesem Zusammenhang verwendeten Begriff kirchen friden[6] war in erster Linie die Wahrung der verbrieften konfessionellen Rechte seiner Untertanen gemeint. Diese Bezeichnung sollte jedenfalls nicht im Sinne moderner Toleranzvorstellungen gedeutet werden, sie entsprach eher einer Haltung, die man heutzutage als religiöse Duldung umschreiben würde.

Die Erläuterungen des Kurfürsten zum Bereich der inneren Politik und Administration offenbaren, in welch hohem Maße das politische Testament auch und gerade als Reflex auf die Regierungszeit seines Vaters Georg Wilhelm zu deuten ist. Dies zeigt exemplarisch die Warnung Friedrich Wilhelms, keinesfalls einzelnen Räten eine zu große Macht und Autorität zuzugestehen. Seine mahnenden Worte resultierten gewiss aus seinen während seiner Kurprinzenzeit gemachten Negativerfahrungen mit Adam von Schwarzenberg, dem Favoriten seines Vaters. Auffällig ist zudem, dass das von Friedrich Wilhelm empfohlene Regierungsprozedere durchaus von seiner eigenen politischen Praxis abwich, wie beispielsweise seine Ausführungen über die politische Meinungsbildung im Geheimen Rat verdeutlichen.[7]

Insgesamt gesehen, lassen sich die Darlegungen des Kurfürsten zur inneren Politik und Verwaltung mustergültig zur Veranschaulichung frühneuzeitlicher Staatsbildungsprozesse heranziehen. Ausgehend von dem signifikanten Kompositcharakter seiner ebenso verstreuten wie ungleichartigen Territorien, die letztlich nur durch die Person des Herrschers beziehungsweise seine Dynastie verklammert waren, entfaltete Friedrich Wilhelm hier in nuce ein Panorama, das zentrale Komponenten und Bestimmungsfaktoren frühneuzeitlicher Herrschaft exemplarisch vereint: Gottesgnadentum, Konfessionalisierung, Herrschaftsverdichtung, Bürokratisierung, das Spannungsfeld von Regionalismus und Integration, Wirtschaftspolitik im Zeichen des Wiederaufbaus nach den Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges, Ständepolitik als Aushandlungsprozess zwischen Kooperation und Konfrontation – all dies lässt sich anhand dieses Selbstzeugnisses beispielhaft veranschaulichen.

Auch die umfangreiche außenpolitische Lageanalyse, die Friedrich Wilhelm in seinem politischen Testament vornahm, ist keineswegs nur mit Blick auf die Geschichte Brandenburg-Preußens lehrreich, sondern auch für generelle Fragen der Mächtepolitik im Alten Reich und in Europa erhellend. Der Kurfürst erscheint hier als reichspatriotischer Herrscher, dessen vorrangiger Bezugsrahmen die tradierte Ordnung von Kaiser und Reich war. Sein Hauptaugenmerk war in diesem Kontext darauf ausgerichtet, die Rechte des Hauses Hohenzollern und seines kurfürstlichen Standes zu wahren sowie die kurbrandenburgischen Interessen im Ringen der Mächte zu behaupten. „Dem katholischen Kaiser gegen Schweden, dem er aus tiefster Seele misstraute, beizustehen“,[8] war und blieb für Friedrich Wilhelm letztlich selbstverständlich. Den im 18. und 19. Jahrhundert emergierenden preußisch-österreichischen Dualismus in seine Regierungszeit zurückzuprojizieren, hieße somit, anachronistisch vorzugehen; die Realität des 17. Jahrhunderts gestaltete sich, wie sein politisches Testament klar und deutlich zeigt, zweifellos (noch) anders.

Friedrich Wilhelms außen- und reichspolitisches Credo war es jedenfalls, stets eine aktive Politik zu betreiben, die an der Wahrung der Teutsche[n]n freiheitt, der kurfürstlichen Präeminenz und Präzedenz, konfessionellen Gesichtspunkten und dem Mächtegleichgewicht ausgerichtet war.[9] Alliancen seindt zwahr gutt, aber eigene krefte noch besser, darauff kan man Sich sicherer verlassen, lautet die sentenzenhafte Empfehlung, die er in diesem Zusammenhang seinem Nachfolger gab. Denn die stete Erfahrung lehre, so führte er aus, dass ein Schwerdt zum ofteren das andere in die scheiden halte.[10]

Trefflich streiten ließe sich darüber, ob gerade die zerstreute Lage der brandenburg-preußischen Territorien und die daraus resultierenden Sicherheitsanforderungen ausschlaggebend dafür waren, dass Friedrich Wilhelm und seine Nachfolger darauf bedacht waren, ein schlagkräftiges stehendes Heer zu unterhalten und eine territorial arrondierende Außenpolitik nach dem Prinzip „Sicherheit durch Expansion“[11] zu betreiben. Das politische Testament ermöglicht in diesem Kontext interessante Aufschlüsse. Dort heißt es: [...] vndt weill Gott vnser Hauß mit viellen Landen reichlich gesegnet, So habt Ihr auff deren conservation alleine zu gedencken, vndt huttet Euch das Ihr durch appetirung mehrer Lande, nicht grossen neidt vndt feindtschaft auff Euch ladet, vndt dadurch auch was Ihr schon habet in gefahr setzet.[12] Friedrich Wilhelm leitete somit aus der auffälligen Vielzahl seiner Territorien das primäre Erfordernis einer Bewahrung (conservation) des Status quo ab – ohne dabei freilich eigene Rechte preisgeben zu wollen. Expansiv ausgerichtete Zielsetzungen fehlten in seiner Außenpolitik keineswegs. Vorrangig war aus seiner Sicht jedoch die Sicherung der rechtmäßigen Ansprüche des Hauses Hohenzollern. Zu mehr war ein in europäischen Maßstäben letztlich zweitrangiger Herrscher auch gar nicht in der Lage – auch wenn die ältere borussische Historiografie, die stets die historische Größe des Kurfürsten propagierte, dies zweifellos anders sah. Unstrittig ist jedenfalls, dass Friedrich Wilhelm aus den Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges die Lehre zog, keinesfalls in einer neutralen Haltung zu verharren. [...] Den das ist einmahll gar gewiß, wan Ihr darzu stille sitzen wurdet, vndt gedencken, Das feuer seie noch ferne von Eweren grensen: Ewere Lande Das theaterum sein wurden, Darauff man die tragedi Spillen.[13]

Der heterogene Charakter des von Kurfürst Friedrich Wilhelm regierten ‚zusammengesetzten‘ Staatswesens und die daraus resultierenden Herrschaftscharakteristika haben kontrovers diskutierte Forschungsfragen stimuliert, für die die Darlegungen im politischen Testament von 1667 ausgesprochen instruktiv sind. So hob die ältere Geschichtswissenschaft unter dem Einfluss des lange Zeit dominierenden Absolutismus-Paradigmas den vermeintlichen Willen des Kurfürsten zur Integration und Vereinheitlichung der unterschiedlichen territorialen Bestandteile seiner ‚composite monarchy‘ hervor. Das politische Testament gibt nur wenig Anlass, diese Deutung zu untermauern. Die Ausführungen Friedrich Wilhelms sind weder ein absolutistisches Manifest, in dem die Beziehungen zwischen Landesherr und Landständen grundsätzlich als konfrontatives Ringen aufgefasst werden, noch wird hier der Weg staatlicher Einheit und Zentralisierung vorgezeichnet. Dies verdeutlichen exemplarisch die umfangreichen Passagen zum Herzogtum Preußen, das im Ersten Nordischen Krieg (1655 bis 1660) endgültig an Kurbrandenburg gelangt war. Der Kurfürst legte seinem Nachfolger ausdrücklich nahe, die Preußen zu karessieren, allerdings nicht ohne zu empfehlen stetz ein wachendes auge auf dieses kostbahre kleinodt zu haben.[14] Gleichwohl darf nicht ausgeblendet werden, dass das hier und an anderer Stelle des politischen Testaments artikulierte Selbstverständnis Friedrich Wilhelms durchaus von seiner tatsächlich praktizierten (Macht-)Politik abweichen konnte. Mitunter agierte der Kurfürst – bei Bedarf unter Verweis auf das Prinzip necessitas non habet legem (Not kennt kein Gebot) – deutlich restriktiver, als es die Schilderungen in seinem politischen Testament vermuten lassen.

In der zweiten Hälfte des politischen Testaments nehmen konkrete Darlegungen zur Ausstattung der kurbrandenburgischen Festungen, Garnisonen und Magazine breiten Raum ein. [...] der fride ernehret, Der krieg aber verzehret,[15] lautete der vielzitierte Grundgedanke, den Friedrich Wilhelm seinen umfangreichen Erläuterungen der zu treffenden militärischen Vorkehrungen voranstellt.

Am Ende schließt sich der Kreis: Findet sich zu Beginn des politischen Testaments der eindringliche Appell, sein Sohn solle Gottes allein Seligmachendes wohrdt als wahre Richtschnur Seiner gantzen Regirung vndt lebens ansehen,[16] so endet die Abhandlung gleichermaßen mit einer Aufforderung an den Nachfolger, ein gottesfürchtiges Leben zu führen. Denn dann werde er segen vndt bestendigen friden im Lande haben, Segen in Ewerer Regirung, Segen in Eweren hausse, Segen ahn den kinderen, So Euch der hochste geben wirdt, mitt viellen freuden sehen.[17]

Ist das politische Testament des Kurfürsten letztlich „nur ein Dokument des politischen Nachhilfeunterrichts im Hause Hohenzollern“?[18] Gerade weil Friedrich Wilhelm alles andere als ein Herrscher war, der in langen Schriftsätzen (Gutachten, Memoranden, Tagebüchern oder ähnliches) systematisch über sein Leben und politisches Wirken reflektierte, haben seine Ausführungen in der Vätterlichen Vermahnung[19] einen herausragenden Stellenwert. In kaum einem anderen Schriftstück treten seine Herrschaftsauffassung, Selbstvergewisserung und Persönlichkeit so subjektiv ehrlich und verdichtet zutage wie in diesem Selbstzeugnis. Insofern handelt es sich bei dem politischen Testament von 1667, „dem größten und inhaltlich bedeutendsten eigenhändigen Schriftstück Friedrich Wilhelms“,[20] um eine höchst aussagekräftige Quelle, deren großer Wert für die Frühneuzeitforschung außer Frage steht.


[1] Zum damaligen Zeitpunkt war dies der zwölfjährige Kurprinz Karl Emil, der allerdings 1674 im Alter von 19 Jahren verstarb.

[2] Die politischen Testamente der Hohenzollern, bearb. von Richard Dietrich (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Bd. 20), Köln/Wien 1986 [im Folgenden: Die politischen Testamente], S. 180.

[3] Ebd., S. 204.

[4] Vgl. Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Bd. 1–23, Berlin/Leipzig 1864–1930, hier Bd. 4, S. 552–556.

[5] Vgl. ebd., Bd. 14/2, S. 1292–1295.

[6] Die politischen Testamente [wie Anm. 2], S. 182.

[7] So votierten die höchstrangigen Räte in den Sitzungen des Geheimen Rates – anders als im politischen Testament empfohlen – oftmals zuerst.

[8] Jürgen Luh, Der Große Kurfürst. Sein Leben neu betrachtet, München 2020, S. 230.

[9] Die politischen Testamente [wie Anm. 2], S. 190f.

[10] Ebd., S. 191.

[11] Gregor Schöllgen, Sicherheit durch Expansion? Die außenpolitischen Lageanalysen der Hohenzollern im 17. und 18. Jahrhundert im Lichte des Kontinuitätsproblems in der preußischen und deutschen Geschichte, in: Historisches Jahrbuch 104 (1984), S. 22–45.

[12] Die politischen Testamente [wie Anm. 2], S. 187.

[13] Ebd., S. 188.

[14] Ebd., S. 200 bzw. 196.

[15] Ebd., S. 194.

[16] Ebd., S. 180.

[17] Ebd., S. 203.

[18] In wörtlicher Anlehnung an die Ausführungen zu den politischen Testamenten Friedrichs II. von Michael Kaiser, Testamente, in: Kulturland Brandenburg e.V. (Hrsg.), Friedrich. Fritz. Fridericus. Ein Handbuch zum König, Konzeption und Redaktion: Simone Neuhäuser, 2. Aufl., Leipzig 2012, S. 178–180, hier S. 180.

[19] Die Bezeichnung Vätterliche Vermahnung der nicht übertitelten Handschrift geht auf einen Archivvermerk zurück.

[20] Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst von Brandenburg. Eine politische Biographie, 2 Bde., Göttingen/Frankfurt am Main/Zürich 1971–1978, hier Bd. 2, S. 71.