Zum Hauptinhalt springen

Spätslawische Schwertgräber von Wusterhausen an der Dosse

Spätslawische Schwertgräber von Wusterhausen an der Dosse

 

Felix Biermann

 

Bei Erdarbeiten im Umfeld der spätmittelalterlichen Stadtpfarrkirche St. Peter und Paul in Wusterhausen an der Dosse (Lkr. Ostprignitz-Ruppin) wurde 2006 unter der Leitung von Olaf Brauer ein spätslawisches Gräberfeld ausgegraben. Von außergewöhnlicher Bedeutung waren zwei der Bestattungen, und zwar wegen ihrer Schwertbeigaben, eines überdies mit einem goldbetressten Prunkgewand. Die Gräber vermitteln interessante Einblicke in den herrschaftlichen und politischen Wandel am Ende der Slawenzeit im brandenburgischen Gebiet.

Der historische Kontext

Wusterhausen war in spätslawischer Zeit ein Hauptort der Dossanen, die sich den Liutizen, einem Bündnis noch heidnischer slawischer Stämme im Norden des heutigen Ostdeutschlands, zuordneten. Diese hatten im großen Aufstand von 983 die deutsche Vorherrschaft abgeschüttelt. Das Dossanengebiet nahm eine Art Frontstellung am südwestlichen Rande des archaisch organisierten liutizischen Raumes ein, in dem kriegerische Häuptlinge und heidnische Priester eine große politische Rolle spielten. Innere Krisen und die Expansion der christlichen Nachbarn führten im Laufe des 12. Jahrhunderts zum Nieder- und letztendlichen Untergang dieser tribalen Gemeinschaften und ihres gentilreligiösen Glaubens. In ebenjene Zeit gehören die hier besprochenen Gräber.

Wusterhausen wird zwar erst im 13. Jahrhundert schriftlich erwähnt, entstand aber im Anschluss an einen großen spätslawischen Burgwall mit burgstädtisch-zentralörtlichem Charakter. Kern der frühdeutschen Stadt war die spätslawische Vorburgsiedlung, und auch die im 13. Jahrhundert genannte deutsche Burg schloss mittelbar an den slawischen Vorgänger an. So lassen sich erhebliche Kontinuitäten zwischen dem spätslawischen Wirtschafts- und Herrschaftszentrum sowie der frühdeutschen Burg und Stadt feststellen.

Das Gräberfeld

Gut 200 m südlich des Burgwalls erhebt sich die in ihrem jetzigen Baubestand auf das mittlere 13. Jahrhundert zurückgehende städtische Pfarrkirche. In deren Umfeld wurden 2006 über 100 slawische Gräber freigelegt. Sie hatten sich im Bereich von Straßen erhalten, die auf die urbane Neustrukturierung im 13. Jahrhundert zurückgingen. Zwei Gräber ragten trotz starker Störung durch ihre reiche Ausstattung hervor. Bei dem ersten, in gestreckter Rückenlage niedergelegten, etwa 35–45 Jahre alten männlichen Toten befand sich ein gut erhaltenes Schwert vom Spatha-Typ, unter dem Körper ein großes Messer. Das zweite Grab bot ein noch ungewöhnlicheres Fundensemble. Das Schwert war eine Prunkwaffe mit silberplattiertem Knauf und ebenso verzierter Parierstange, am allein erhaltenen linken Arm des Toten lagerten goldgewebte Borten eines Prachtgewandes, ferner gab es die Relikte eines Daubeneimers – Teil eines Gefäßensembles für Handwaschungen bei festlichen Anlässen. Die beiden Gräber stammen aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts.

Der von etwa 1050 bis 1200 belegte Bestattungsplatz vereint mit Körperbestattungen in Rückenlage, wenigen Hockergräbern, West-Ost- und anderweitigen Orientierungen, vorhandenen und fehlenden Beigaben sowie diversen Brandriten Kennzeichen gentilreligiösen und christlichen Glaubens. Das ist einerseits das Resultat der religiösen Umbrüche zur späten Slawenzeit, geht andererseits offenkundig auf eine Entwicklung während der Nutzung des Bestattungsplatzes zurück. Vermutlich entstand er im Laufe des 11. Jahrhunderts als Ortsgräberfeld am südlichen Rande des Burg-Siedlungskomplexes, der in jener Zeit stark wuchs und zur wichtigen spätslawischen Burgstadt wurde. Auf dem Areal des Gräberfeldes wurde dann eine erste Kirche errichtet, um die sich die Gräber konzentrierten. Das Gotteshaus ist zwar archäologisch nicht nachgewiesen, kann aus den Merkmalen des Bestattungsplatzes aber erschlossen und als Vorläufer der Stadtkirche aufgefasst werden. Dieser wird nicht vor das mittlere 12. Jahrhundert zurückgehen, denn das Dossanengebiet gehörte bis dahin zum liutizischen Bundesgebiet, das sich über seine Opposition zum Christentum definierte. Freilich sind unsere Kenntnisse über die lokalen Verhältnisse gering. Eine längere Transformationsperiode ist durchaus vorstellbar, in der Personen unterschiedlichen Glaubens gemeinsam an der Dosse lebten, während insbesondere die Herrschaftsträger – die Zeichen der Zeit erkennend – bereits christlicher Gesinnung waren. Das Gräberfeld von Wusterhausen fällt mithin in eine religiöse Übergangszeit.

Die Schwertgräber

Besonders aussagekräftig sind die beiden Schwertgräber. Schon das silberverzierte Prunkschwert ist ein bedeutendes Statussymbol, wenn es auch im nördlichen westslawischen Raum noch einige Parallelen findet. Ganz exquisit ist aber das Goldgeflecht, das zu einem Prachtgewand von enormem Wert gehörte. Solche Gewandungen kleideten sonst Kaiser, Könige und deren hohes Gefolge.

Dieses Gewand illustriert zunächst den materiellen Reichtum und Überschuss an Prestige, den Mitglieder der dossanischen Elite gegenüber der breiten Bevölkerung im 12. Jahrhundert erlangen konnten; der Gegensatz zu den übrigen Bestattungen und ihrer Ausstattung spricht Bände. Überdies zeigt sich, dass sich die Stammeselite der Dossanen an den überregionalen Repräsentationsformen des Adels maß, wobei angesichts der Parallelen für derlei Prachtgewänder und der Lage des Fundortes in der deutsch-slawischen Kontaktzone das Vorbild im Deutschen Reich gesucht werden darf. Archäologische Belege der Faszination nordwestslawischer Stammeseliten durch die fürstliche Repräsentation der benachbarten Herrschaftsgebiete sind durchaus zahlreich, finden im Wusterhausener Grab aber einen besonders imponierenden Ausdruck.

Die Dossanenherrscher hatten, so zeigt eindrucksvoll das goldbetresste Gewand, Zugriff auf exquisite, aus der Fremde stammende Luxusware. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um ein Geschenk von Seiten deutscher Magnaten oder königlicher Beauftragter, mit denen man die slawischen Herrschaftsträger im Vorfeld des Reiches auszeichnete, ehrte und ins eigene Herrschaftssystem einband. In diesem unsicheren Grenzgebiet konnten auch kleinere Machtträger sehr wichtig werden, und man sah Fürsten des Reiches um die Loyalität von Stammesführern werben. Beispiele für diese Praxis liefern Ebos und Herbords Lebensbeschreibungen des Bischofs Otto von Bamberg, der 1128 durch die Region reiste und im nahen Havelberg den dortigen Herrschaftsträger Wirikind traf. Otto verteilte allerorten Geschenke an lokale Repräsentanten; die hohe Bedeutung von Repräsentation und Prunk, von Gabe und Gegengabe in der nordwestslawischen Kultursphäre war dem Missionar bewusst.

Schwerter, Eimer und Goldgewand sind Ausdrucksformen kriegerischer Aura, elitärer Lebensweise, politischer Macht wie fürstlichen Glanzes. Die Toten in den Prunkgräbern als dossanische Häuptlinge zu betrachten, ist daher plausibel. Ihr Sitz war die wichtige Burg von Wusterhausen, ihr Herrschaftsgebiet die umliegende Region. Die Existenz von (mindestens) zwei Gräbern und die über Symbole militärischer Gewalt hinausgehenden Grabbeigaben sprechen dafür, dass es sich nicht lediglich um kriegerische Anführer und Machthaber, sondern um anerkannte Träger einer in dieser oder jener Form institutionell begründeten Herrschaft handelte. Sie führten ihre Schwerter nicht nur als Rangabzeichen. Häuptlinge der nordwestslawischen Stammesgesellschaften standen in ständiger Konkurrenz mit ihresgleichen und mit fremden Mächten. Sie mussten durch erfolgreiche militärische Aktionen ihr Charisma halten und erhöhen. Bei erfolgreichem Agieren konnten sie sich andere Gruppen botmäßig machen, damit ihre Kriegergefolgschaften und ihren Reichtum bzw. Gabenfundus vergrößern – die Instrumente ihrer Macht; durch geschickte Diplomatie und die Annahme des Christentums vermochten sie Anerkennung von deutscher Seite zu erlangen, was ihr Prestige auch im nordwestslawischen Milieu hob.

Der oben erwähnte Havelberger Herrscher Wirikind vermittelt uns eine Vorstellung von diesem Typus des Herrschaftsträgers, der zwischen den Mächten, Religionen, sozialen Gruppen und Interessenssphären seiner Zeit und Region stand. Seine Herrschaft in einer dramatischen Übergangs-, ja Umbruchszeit musste er beständig – gewandt lavierend und agierend – sichern, umgeben von stärkeren Mächten und einander unversöhnlich gegenüberstehenden Glaubensgemeinschaften. Die namenlosen Toten aus den Gräbern von Wusterhausen sahen sich zu ihren Lebzeiten wohl ähnlichen Herausforderungen gegenüber.

Zur Prunkgrabsitte

Die beiden Gräber von Wusterhausen schließen sich einer größeren Gruppe vergleichbarer, reich und insbesondere mit Waffen ausgestatteter spätslawischer Grablegen in Mecklenburg, in Nordbrandenburg und in Pommern an, die nach einem plausiblen Interpretationsmodell als Ausdruck von Umbruchszeiten gelten. Die prunkhaften Wusterhausener Grablegen waren demnach eine Reaktion der dossanischen Oberschichten auf die Krisen des 12. Jahrhunderts, wie die als Bedrohung empfundene Christianisierung, den militärischen Druck deutscher und anderer elbslawischer Mächte etwa im Umfeld des »Wendenkreuzzugs« von 1147, die generell einschneidenden politischen Wandlungen jener Zeitspanne. Schon im 11. Jahrhundert hatte es fast fortwährend mit Härte geführte Kriegshandlungen zwischen Christen und Liutizen gegeben. Bereits 1108 war ein erster »Wendenkreuzzug« geplant, seit 1114 kam es immer wieder zu Feldzügen ins Slawenland, begleitet von Missionsbestrebungen, 1147 war die Landschaft an der Dosse Kampfgebiet. Hinzu traten Konkurrenzen zwischen den slawischen Machthabern.

So entstand bei den Herren das Bedürfnis, sich in aufwändigen Begräbnissen ihrer eigenen herrschaftlichen und religiösen Traditionen zu versichern und ihre Macht in großen Begräbniszeremonien zu repräsentieren, gegenüber ihren eigenen Gefolgschaften wie auch gegenüber konkurrierenden Eliten. Dabei konnten Vorbilder aus den benachbarten, kulturell komplexeren, bereits patrimonial organisierten Großherrschaften wie Polen, Dänemark und dem Deutschen Reich auf eigene Weise verarbeitet werden. Gerade den Repräsentations- und Legitimationsbedürfnissen von Herrschaften begrenzter Reichweite, deren Stellung in Umbruchszeiten in hohem Maße bedroht war, dürften derartige Gräber entsprochen haben. Entsprechend blühte die Prunkgrabsitte im gentilen nordwestslawischen Milieu erst auf, als dieses unterging.

In diesem Kontext stehen auch die Toten von Wusterhausen. Sie gehörten einer führenden sozialen Gruppe der nordwestslawischen Gesellschaft an, die in einer gentilreligiös-christlichen Übergangsperiode – vielleicht selbst schon christlich – in Prunkgräbern ihren Status manifestierte. So werfen sie ein eindrucksvolles Schlaglicht auf die religiösen und politischen Umbrüche, die der brandenburgische Raum im 12. Jahrhundert erlebte.