Das Vorhaben ist abgeschlossen

 

Im Projekt »Das Rote Rathaus in Berlin. Eine politische Geschichte« wurde die Geschichte dieses markanten Gebäudes als Schauplatz, »Akteur« und Spiegel politischer Entwicklungen und Entscheidungsprozesse neu bearbeitet und als Buch für ein breiteres Publikum herausgegeben. Eine solche politische Geschichte des Berliner Rathauses fehlte bislang, obwohl sich in diesem zentralen Ort die politische und gesellschaftliche Entwicklung der Stadt von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart widerspiegelt. In der ersten von insgesamt zwei Projektphasen wurden 21 Bausteine als Quellensammlung entwickelt. Die empirische Forschungsarbeit wurde von einem praxisorientierten Seminar an der Humboldt-Universität zu Berlin flankiert.

27. Januar 2020 — Buchpräsentation — ›Das Rote Rathaus in Berlin. Eine politische Geschichte‹

  |   Berlin

Das Buch ›Das Rote Rathaus in Berlin. Eine politische Geschichte‹ von Thomas Flemming, Gernot Schaulinski und Bernd Ulrich (Einzelveröffentlichung des Landesarchivs Berlin in Verbindung mit der Historischen Kommission zu Berlin e.V.), herausgegeben von Uwe Schaper, ist erschienen und wurde am 27. Januar 2020 um 15 Uhr im Säulensaal des Roten Rathauses der Öffentlichkeit präsentiert.

Zum Programm der Buchpräsentation gelangen Sie hier.

 

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2. Projektphase 2016 bis 2020: Anfertigung des Manuskriptes und Publikation des Werkes

 

Die Forschungsergebnisse wurden in Form eines rund 450 Seiten umfassenden Buches veröffentlicht, das im Dezember 2019 erschien. Das Werk richtet sich an ein breiteres Publikum, das sowohl Berlinerinnen und Berliner wie auch offizielle Gäste der Stadt sowie Touristen einschließt. In einem allgemeinverständlichen, narrativ-flüssigen Stil geschrieben, liegt nun ein sorgfältig aus den Quellen recherchiertes sowie nach wissenschaftlichen Standards verfasstes Werk vor.

Das Buch stellt die herausgehobene Bedeutung des Roten Rathauses und seine Rolle als zentraler Schauplatz von rund 150 Jahren Berliner Geschichte dar, wobei das Rathaus als »Ort des politischen Handelns« konzeptionalisiert worden ist. Einen Untersuchungsschwerpunkt bildeten das Zustandekommen und die Umsetzung politischer Entscheidungen. Insofern handelt es sich eher um eine Institutions- und Politikgeschichte – mit dem Roten Rathaus als thematischem »Gravitationszentrum« – als um eine architekturhistorische Darstellung des Gebäudes selbst. Politische, gesellschaftliche und soziale Fragestellungen standen im Vordergrund. Andererseits ist jedoch zu berücksichtigen, dass im Fall des Roten Rathauses die äußere Gestaltung und funktionale Umbaumaßnahmen immer auch Ausdruck politischer Entwicklungen und eines sich wandelnden gesellschaftspolitischen Selbstverständnisses waren. Es galt also (und gilt weiterhin), die Gestaltung des Roten Rathauses – wie auch seines städtischen Umfelds – jeweils in Beziehung zu politischen und gesellschaftlichen Prozessen zu setzen. Insofern kann die Buchveröffentlichung auch als Beitrag zu der aktuellen Diskussion um die künftige Gestaltung der »vergessenen Mitte« Berlins zwischen Alexanderplatz und Humboldt-Form verstanden werden.

Bei der Gestaltung des Buches wurde besonderer Wert auf aussagekräftiges Bildmaterial gelegt, das einen ästhetisch-anschaulichen Eindruck vom Erscheinungsbild und den jeweils spezifischen Veränderungen im und am Berliner Rathaus vermittelt. Als Quellenbasis dienten hauptsächlich die einschlägigen Bestände des Landesarchivs Berlin (Dokumente und Fotos) sowie Akten- bzw. Bildmaterial des Märkischen Museums, des Bundesarchivs und des Deutschen Historischen Museums. Für die Zeit der friedlichen Revolution und des Zusammenwachsens der Stadt ab 1989/90 wurden auch zahlreiche Zeitzeugen-Interviews geführt.

1. Projektphase 2015/16: Bausteine für ein Seminar

 

Für die erste Phase des Projektes »Das Rote Rathaus in Berlin. Eine politische Geschichte« konzipierte das Team insgesamt 21 Bausteine, die im Wintersemester 2016/17 den Studierenden der Humboldt-Universität zu Berlin zur Verfügung standen. Diese Bausteine dienten als Material- und Arbeitsgrundlage für ein Seminar zur politischen Geschichte des Berliner Rathauses. Sie standen jeweils exemplarisch für einen bestimmten Zeitabschnitt, einen politisch-gesellschaftlichen Aspekt oder für Zäsuren in der Geschichte Berlins. Insgesamt bildeten sie prismatisch rund 150 Jahre Berliner Geschichte ab, stets mit engem Bezug zum Rathaus als Verwaltungszentrale und Ort des politischen Handelns.

Anhand ausgewählter Quellen und konkreter Arbeitsaufträge wurden die Studierenden für die enge Verzahnung des Rathauses mit der Berliner Geschichte sensibilisiert. Hierbei war der jeweilige thematische Schwerpunkt stärker an der politisch-gesellschaftlichen Entwicklung als an der Architektur- und Baugeschichte des Gebäudes ausgerichtet. Jeder dieser Bausteine beinhaltete ausgewählte Quellen (Dokumente, Plakate, Zeichnungen), eine knappe Inhaltsangabe (Regest) bzw. Beschreibung der Bild-Quelle, eine Erläuterung des historischen Kontextes sowie konkrete Arbeitsaufträge für die Seminarteilnehmer.

Auswahl und Aufbereitung der Quellen erfolgten vor allem unter praxisorientierten Gesichtspunkten. So sollten die Studierenden mittels konkreter Aufgabenstellungen und knapper Literaturhinweise dazu angeleitet werden, durch weitergehende Quellen- und Literaturrecherchen das im jeweiligen Baustein angerissene Thema sachlich zu vertiefen und zeitlich zu erweitern. Die Studierenden lernten auf diese Weise den praktischen Umgang mit Quellen und die Arbeit in Archiven kennen.

Ausgewählte Quellen

Einsetzung des NS-Staatskommissars Julius Lippert — 1933

 

Nachdem Adolf Hitler am 30. Januar 1933 von Reichskanzler Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt worden war, machten sich die Nationalsozialisten auch in den Städten und Kommunen unverzüglich an die Sicherung und Ausweitung ihrer Macht. In der Reichshauptstadt Berlin gingen sie dabei mit besonderer Zielstrebigkeit vor. Die demokratischen Strukturen der Kommunalverwaltung wurden skrupellos ausgehöhlt und schrittweise zerstört. Von einschneidender Bedeutung war in diesem Zusammenhang die Einsetzung eines sogen. »Staatskommissars« im April 1933. Zwar verblieb der national-konservative Oberbürgermeister Heinrich Sahm weiterhin im Amt. Die faktische Macht lag nunmehr jedoch in den Händen des NS-Staatskommissars, dessen neugeschaffenes Amt mit weitgehenden Weisungsbefugnissen ausgestattet war.

Erster Staatskommissar von Berlin wurde Julius Lippert, der sich zuvor u.a. als Vorsitzender der NSDAP-Fraktion in der Berliner Stadtverordnetenversammlung im Kampf gegen die demokratische Stadtregierung hervorgetan hatte. Unter Lipperts Leitung – und stets mit formeller Billigung des faktisch einflusslosen Oberbürgermeisters Sahm – wurde die Berliner Verwaltung in den folgenden Monaten dem NS-Führerprinzip unterworfen. Politisch unliebsame Mitarbeiter wurden entlassen und durch »alte Kämpfer« der NS-Bewegung ersetzt. Auch zahlreiche jüdische Verwaltungsmitarbeiter verloren aufgrund des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom April 1933 ihre Arbeitsplätze. Das Textdokument verdeutlicht symbolhaft  das rücksichtslose Eindringen der Nationalsozialisten ins Berliner Rathaus, wo der NS-Staatskommissar mit seinem großen Platzbedarf die SPD-Fraktion aus ihren angestammten Räumen verdrängte. Der erzwungene Umzug der SPD-Stadtverordneten in abgelegene Gebäudeteile war allerdings nur ein Vorbote für ungleich schärfere Unterdrückungsmaßnahmen,  mit denen sich die Nationalsozialisten in den folgenden Wochen im Reich und in den Kommunen ihrer Gegner entledigten. Im Juni 1933 wurde die SPD wie alle anderen demokratischen Parteien von den Nazis verboten, alle ihre Mandate im Reichstag und in der Stadtverordnetenversammlung gestrichen. Wie zuvor schon zahlreiche KPD-Mitglieder wurden viele Sozialdemokraten in Konzentrationslager verschleppt oder mussten ins Exil gehen.

Die politische Teilung Berlins — 1948

 

Seit Mitte 1946 verschärften sich die Spannungen zwischen den Westmächten und der Sowjetunion, den einstmals Verbündeten im Kampf gegen Hitler-Deutschland. Berlin war seither zentraler Schauplatz dieses Kalten Krieges um die politische und ökonomische Vorherrschaft in Europa und der Welt. Einen ersten Höhepunkt erreichte dieser Konflikt im Juni 1948, als die Sowjetunion in Reaktion auf die Währungsreform in den Westzonen und West-Sektoren von Berlin über West-Berlin eine Blockade der Straßen-, Schienen- und Wasserwege verhängte. Die Westsektoren wurden seither von den Westalliierten ausschließlich aus der Luft versorgt. Die Arbeit der Berliner Stadtverordnetenversammlung und des Magistrats blieb vom eskalierenden Ost-West-Konflikt nicht unberührt.

Ab Sommer 1948 verschärften sich innerhalb des Berliner Parlaments und der Stadtverwaltung die Spannungen zwischen den westlich orientierten Fraktionen und den Vertretern der SED. Nachdem die moskauorientierte SED bei den ersten freien Wahlen vom Oktober 1946 eine herbe Niederlage erlitten hatte, befand sie sich im Berliner Stadtparlament nur in der Minderheit. Stärkste Fraktion war die SPD.

Die SED erhöhte 1948 den Druck auf ihre politischen Gegner in Magistrat und Stadtverordnetenversammlung. Ihren Sitz hatten beide Einrichtungen zu dieser Zeit im Neuen Stadthaus bzw. in umliegenden Gebäuden, da das Rathaus wegen der starken Kriegsschäden nicht nutzbar war. Wiederholt fanden am Neuen Stadthaus von der SED gelenkte Demonstrationen statt, auf denen u. a. weitgehende Sozialisierungen der Wirtschaft, die Einführung der Ost-Mark in ganz Berlin und mehr Machtbefugnisse für Gewerkschaften und Gefolgsleute der SED gefordert wurden. Als am 6. September 1948 zahlreiche SED-Anhänger ins Neue Stadthaus, dem Tagungsort der Stadtversammlung, eindrangen, verlegte der Stadtverordnetenvorsteher Otto Suhr (SPD) kurzerhand die Sitzung in den Westteil der Stadt. Während die Fraktionen von SPD und CDU diesem Aufruf folgten, verblieben die Abgeordneten der SED im Neuen Stadthaus. Nach dem »Umzug« der meisten Parlamentarier in den Westen eröffnete Otto Suhr noch am Abend des 6. September 1948 die Sitzung im Studentenhaus an der Charlottenburger Hardenbergstraße. Am 30. November 1948 trat in Ost-Berlin eine von der SED dominierte »außerordentliche Stadtverordnetenversammlung« zusammen, erklärte den amtierenden Magistrat für abgesetzt und wählte einen »provisorischen demokratischen Magistrat« mit dem SED-Politiker Friedrich Ebert junior an der Spitze. Fortan gab es in Berlin zwei Stadtparlamente Abgeordnetenhaus (West, Bezeichnung ab 1950)/ Stadtverordnetenversammlung (Ost) – und auch zwei Stadtregierungen – Senat (West, Bezeichnung ab 1950)/ Magistrat (Ost).

Vor diesem Hintergrund kam es um die seit Langem angesetzte Neuwahl der Stadtverordnetenversammlung zu heftigen Auseinandersetzungen. Die SED scheute nach ihrer verheerenden Niederlage im Jahr 1946 ein erneutes Votum der Wähler und versuchte, die Wahl zu verhindern. Dabei wurde sie von der sowjetischen Besatzungsmacht unterstützt, sodass die Wahl am 5. Dezember 1948 nur in West-Berlin stattfinden konnte. Der Boykott-Aufruf der SED fand bei der West-Berliner Bevölkerung allerdings keine Resonanz. Die Wahlbeteiligung lag bei über 86 Prozent. Mit Abstand stärkste Partei wurde die SPD (64,5 Prozent), gefolgt von der CDU (19,4 Prozent). Im Osten Berlins ging die SED nun mit verstärkter Energie daran, – ohne demokratische Legitimation, aber mit Rückendeckung der sowjetischen Besatzungsmacht – ihre Vorstellungen von einer »sozialistischen Stadt« umzusetzen.

Plakat 1 ruft die Berliner Bevölkerung zur Teilnahme an den Wahlen auf – trotz Boykottaufrufs der SED.

Das von der SED verbreitete Plakat 2 soll die Berlinerinnen und Berliner von der Wahl abhalten.

Plakat 3 von 1953 feiert die bisherigen »Errungenschaften« der SED-Politik in Ost-Berlin. Dass es im selben Jahr – am 17. Juni 1953 – in Ost-Berlin zu Massenprotesten und einen Aufstandsversuch gegen die SED-Führung gekommen war, blendet das Plakat selbstredend aus.