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Der Knappenbrief oder die Ordnung der Tuchmachergesellen Berlins und Cöllns von 1331

Der Knapenbriff oder die Ordnung der Tuchmachergesellen Berlins und Cöllns von 1331

 

Knut Schulz

 

Vorbemerkung

Was macht die Besonderheit dieser als »Brief« bezeichneten Urkunde, ihren Charakter als Schlüsselquelle aus? Die Antwort darauf wird letztlich erst die Textanalyse bringen, aber einige Hinweise vorab können die Einordnung und Orientierung erleichtern. Zuvor ist auf das Datum von 1331 aufmerksam zu machen, womit diese Urkunde chronologisch den Spitzenplatz unter den Gesellenordnungen mit eigener Organisation überhaupt einnimmt. Sie gewährt Einblicke sowohl in die Welt der Arbeit als auch in besondere Lebensformen dieser Gruppe junger Männer. Zum anderen kommt ein für das übrige Handwerk dieser Zeit ganz untypisches Verhältnis von Meistern und Gesellen in den Blick, das allgemein gesprochen bereits in den Bereich des – in der Regel erst viel später angesetzten – Verlagswesens mit Stücklohnarbeit für beide Gruppen, Meister wie Gesellen, verweist. Dies bedingt in mancher Hinsicht eine gewisse Nähe und Geschlossenheit, gelegentlich auch Stärke des Gewerks, wie sie der Text widerspiegelt. Schließlich fällt manches Licht auf die Besonderheit der Geselligkeit und Verhaltensweise dieser Jung-Männer-Welt. Insofern ist die Quelle ein echter Solitär.

 

Zum Inhalt

Am 19. November 1331 erteilten die beiden Berliner Bürgermeister Otto von Buch und Gerard von Rathenow mit Zustimmung der anderen Ratsmitglieder den Tuchmachern die nachfolgenden Statuten. Gleich zwei Begriffs- und Verständnisfragen sind dabei vorab zu klären; denn die beiden Adressaten, nämlich die in der Überschrift mit Knapenbriff angesprochenen Gesellen und die danach als Empfänger der Urkunde genannten lanifices et textores in Berlin et Coll[e]n waren keinesfalls identisch. Ebenso wenig wurde, wie es die Herausgeber der Urkunde irrtümlich mitgeteilt haben, den »Woll- und Leineweberknechten« die vom Rat genehmigte Ordnung verliehen. Zwar ist die Gleichsetzung von »Knappen« und »Knechten« im Prinzip richtig und für das heutige Sprachverständnis mit Gesellen/Handwerksgesellen zu übersetzen. Und in der Tat ist auch gleich in der ersten Bestimmung des Textes von den servi, also den Knechten die Rede, die später auch Knappen genannt werden. Die Urkundenempfänger waren jedoch die Handwerksmeister, die die Verantwortung übernahmen. Man darf vermuten, dass der Sachverhalt ähnlich zu begreifen ist, wie es 1407 in der entsprechenden Ordnung für die Tuchmacher der Neustadt Brandenburg in deutscher Sprache dargelegt wird, wenn es dort heißt, dass der Stadtrat auf Bitten unser[er] lakenmeker den wüllenweber knapen hebben gegunnet und to gestadet [gestattet bzw. zugebilligt, der Verf.] to holdene ore [ihre, der Verf.] broderschaft, knapenrecht und gesete [Gesetze]. Demnach haben die Tuchwebermeister dort der Verleihung der Ordnung, wie sie die Gesellen bereits miteinander vereinbart hatten, dem Rat gegenüber zugestimmt und eine gewisse Zuständigkeit für deren Einhaltung übernommen. So dürfte auch der viel ältere Berliner Text zu verstehen sein.

Ebenso problematisch verhält es sich mit der Übersetzung von lanifices et textores als Woll- und Leinewebern. Gegen die Wollweber ist nichts einzuwenden, aber Leineweber sind mit den lanifices nicht gemeint; diese erhielten erst 1452 eine eigene, ganz andere Ordnung. Vielmehr ist das Begriffspaar mit »Wollschläger und Wollweber« zu übersetzen, wie wir sehen werden.

Noch wichtiger dürfte zur Vermeidung von Missverständnissen ein Kommentar zu dem Begriff der »Tuchmacher« sein, und zwar zur Unterscheidung zwischen Wollwebern und Tuchhändlern, die sich gesellschaftlich und wirtschaftlich auf ganz verschiedenem Niveau bewegten. Die zu den ratsfähigen Geschlechtern zählenden Tuchhändler, im Text pannifices genannt, wären auf Deutsch passender als »Gewandschneider« zu bezeichnen. Sie hatten neben dem Großhandel das Vorrecht, die Stoffe en détail, im Ausschnitt nach Ellen, Gewinn bringend zu verkaufen, sowohl die begehrten feinen Tuche aus Flandern als auch solche nur mittlerer oder geringer Qualität aus heimischer Produktion. Die Wollweber alias Tuchmacher hingegen arbeiteten vornehmlich gegen Lohn für die Gewandschneider oder Kunden und brachten wohl nur gelegentlich auf Jahrmärkten auch eigene Tuche zum Verkauf. Ihnen nachgeordnet und gegen Lohn flexibel einsetzbar waren die Knechte bzw. Knappen, also die Gesellen, die bei den Webermeistern oder auch bei anderen Auftraggebern gegen Lohn, sei es Tages- oder eher Stücklohn, arbeiteten. Auf der untersten Stufe dieser Hierarchie standen die pueri genannten Lehrlinge oder eventuell Lohnknaben. Dass auch die Ehefrauen der Knappen in diesem Kontext eine Rolle spielten, wird später zu erörtern sein.

Warum wurde eine solche detaillierte Ordnung gerade für die Tuchmachergesellen so ungewöhnlich früh erlassen? Wie bereits angedeutet, fiel die Lebensform und wirtschaftliche Lage der jungen Gesellen insofern aus dem Rahmen, als sie nicht in einen Handwerksbetrieb eingebunden waren, sondern sich auf dem »freien Arbeitsmarkt« jeweils nach Aufträgen umschauen mussten. Das damit verbundene ökonomische Risiko wurde noch durch die Gefahren von Krankheit und Tod gesteigert, wollte man nicht ohne Totenmesse, Fürbitte und Gedenken in ein Grab gelegt werden. Dagegen versuchten sich die Gesellen, durch einen Zusammenschluss und Vorsorgemaßnahmen etwas abzusichern, was von den Meistern und dem Rat akzeptiert oder gar unterstützt wurde, um nicht in Notfällen selbst einspringen zu müssen. Diese Anliegen und Voraussetzungen trugen dazu bei, dass die Gesellen der Tuchmacher sich so frühzeitig organisierten, eine Ordnung verabredeten und auch genehmigt bekamen. Wie noch zu zeigen sein wird, beinhaltete diese außerdem Elemente der Geselligkeit und von Verhaltensnormen, die in die Lebenswelt junger »Fach- und Lohnarbeiter« interessante Einblicke gewähren. Entsprechende Zusammenschlüsse, zu Bruderschaften und Gesellschaften, wie sie für andere, in Haus und Werkstatt des Meisters sowie in die Zunft noch stärker integrierte Gesellengruppen in größerer Zahl fassbar werden, traten in anderen Fällen erst später, seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert in Erscheinung und veränderten die Gruppen- und Sozialstruktur spätmittelalterlicher Städte. Somit bildeten die Tuchmachergesellen die »Vorhut« einer neuen Entwicklung. Dass Berlin dabei zeitlich vorangeht, ist überraschend; denn ansonsten hat in dieser Hinsicht die fortentwickelte Städtelandschaft am Oberrhein die Nase vorn. Und in der Tat errichteten – kurz nach den Berlinern – 1336 die Wollenweber- und Wollenschlägergesellen in Zürich eine Kranken- und Sterbekasse mit der Begründung, dass derartige Regelungen in allen stetten bi dem Rine, da man zünfte hat, angeblich bereits existierten, wofür Straßburg, Hagenau und Freiburg im Breisgau als Beispiele genannt seien. Dorthin bestanden allerdings von der Mark Brandenburg aus keine erkennbaren Verbindungen, wohl aber nach Flandern, der damals am weitesten entwickelten Tuchgewerbelandschaft, zu der Berlin nachweisbare Beziehungen unterhielt.

 

Kommentar zu den Aussagen des Knapenbriffs

Der erste Blick soll dem Raum gelten, der hier angesprochen wird. An zwei Bestimmungen (Artikel 6 und 7) ist erkennbar, dass für die Tuchmacher, speziell deren Gesellen, die Mark Brandenburg als Gewerbe- und Wirtschaftsraum einen Orientierungsmaßstab besaß und sich als rechtlicher Zuständigkeitsbereich darstellte, wenn es um Berufsverbot oder Ausweisung ging; und zwar ohne herrschaftliche Mitwirkung. Die lokale Berliner Ebene ist insofern auffällig und von Interesse, als die Ordnung klar erkennen lässt, dass der Berliner Stadtrat für die beiden Teilstädte und für das gesamte Tuchgewerbe gemeinsam handelte, während ansonsten oft das Konkurrenzdenken überwog und die Trennung praktiziert wurde, wie es fast gleichzeitig für die Fleischerinnungen (Knochenhauer und Wurstmacher) festzustellen ist, und zwar gesondert für die von Berlin und Cölln.

Wichtig für das Verständnis dürfte auch die Klärung der Frage sein, wer und wie die genannten Personengruppen an der Abfassung der Statuten beteiligt waren bzw. angesprochen werden. Dabei ist die Begrifflichkeit hilfreich und klärend. Die schon in der Überschrift genannten und insgesamt in erster Linie gemeinten Gesellen des Gewerbes werden entweder als knapen oder knechte bzw. auch als meysterknapen (für ihre Wortführer) bezeichnet. Eng verbunden mit ihnen waren die pueri, die Lehrlinge oder – angesichts der kurzen Ausbildungszeit in diesem Beruf – die Lohnknaben. Zusammen unterhielten sie die Sterbekasse und die großen Kerzen für die Fest- und Feiertage. In diesem Zusammenhang ist darüber hinaus eine Gemeinsamkeit mit den Tuchmachermeistern zu vermuten; denn die Bestimmung, dass zwölf personas sich um diese Angelegenheiten kümmern werden, lässt auf einen gemeinsamen, also gemischten Vorstand für diesen Aufgabenbereich schließen. Für die Vereinigung beider Personengruppen wird hier der Begriff der universitas verwendet, der für den Zusammenschluss bei der Totenfolge, Totenmesse und Andacht in der Kirche (Kerzen) Gültigkeit hat, was nur noch einmal (Artikel 18) bei der Annahme eines Lehrlings der Fall ist, die offensichtlich in gemeinsamer Verantwortlichkeit beider Gruppen erfolgte. Für die Genehmigung der Regelung hatten sich die Tuchmacher mit Gewerberecht beim Stadtrat eingesetzt, und zwar mit Erfolg. Die weiteren Bestimmungen gehen, wie man es jeweils herauslesen kann, auf Anliegen oder Initiative entweder der Gesellen oder der Tuchmacher oder der Gewandschneider oder direkt auf den Stadtrat zurück, haben dabei aus unterschiedlicher Perspektive aber immer die »Knappen« bzw. »Knechte« vor Augen.

Aufschlussreich sind dafür besonders die Bestimmungen zum Arbeitsrecht. Dies gilt zunächst für den Artikel 8, der zeigt, dass Wollwebermeister in gleicher Weise wie die Knappen dieses Handwerks im Auftrag der pannifices genannten Gewandschneider arbeiteten, sich also in diesem Punkt nicht oder nur dadurch unterschieden, dass die Meister das Gewerberecht und eine eigene Werkstatt hatten und die Gesellen zum Teil wohl bei ihren Auftraggebern die Tuche webten. Zwei Artikel weiter wird erkennbar, wie die Stücklohnarbeit in Form des Verlagswesens (Vorschuss) durch die Gesellen bei den zuvor genannten Meistern praktiziert wurde. Dies gilt auch für den Artikel 10 und den Anspruch auf volle Lohnerstattung durch die Meister an die Gesellen, die Abschied nehmen, also weiter wandern wollen. Die beiden folgenden Bestimmungen bezüglich des Arbeitsverbots nach dem Vesperläuten am Sonnabend und bei Kerzenlicht hat der Stadtrat eingefügt, wie es das nur hier benutzte »Wir« (prohibemus) zeigt. Die Strafgebühr bei Übertretung ist im ersten Fall übrigens an die jeweils eigene Organisation zu entrichten, die Meister an die der Meister und die Gesellen an die der Gesellen. Die Arbeitsvermittlung (Artikel 20) erfolgt auf dem öffentlichen Berliner Platz genannt Ples. Zu dessen Lokalisierung ist das Berliner Stadtbuch heranzuziehen (Folio 6v–7r), wonach es sich um den Platz up dem holtmarkte beim Mühlendamm (?) handelte. Im Unterschied zu den Wollwebern durften sich die Wollschläger dort nur nach Arbeit umschauen, wenn von dem bisherigen Auftrag nur noch eyn stein wulle zur Bearbeitung übrig ist. Dies ist übrigens die Schlüsselstelle im Text, die die klare Unterscheidung zwischen Wollwebern und Wollschlägern vermittelt. Besondere Beachtung verdient schließlich noch der (möglicherweise zwischen 1331 und der Abschrift im Stadtbuch hinzugefügte) Artikel 25. Denn hier wurde bisher zwar nur ein Buchstabe verlesen, aber mit der Konsequenz, dass dadurch der richtige Sachverhalt verkannt worden ist. Im Urkundentext steht linifex und nicht lanifex, also Leineweber und nicht Wollschläger, was erst den Sinn der Aussage erschließt. Ein Leineweber und dessen Frau dürfen demnach nicht im Tuchgewerbe arbeiten, solange sie ihren Beruf der Leineweberei nicht aufgegeben haben. Diese galt als primär ländliches Gewerbe, wenn auch regional verschieden eingeschätzt, und zwar zum Teil als mit Makeln behaftet, wie etwa dem der Unfreiheit, der Unehrlichkeit oder des »Undeutschen«. Im Fall von Berlin-Cölln war dieser Vorwurf immerhin durch einen Berufswechsel korrigierbar. Die Artikel 22 bis 24 zeigen uns die Organisationsform der Wollweberknappen mit gewählten meysterknapen an der Spitze, und zwar mit eigener – wenn auch bemessener – Strafkompetenz für die Einberufung von Gesellenversammlungen und die ordnungsgemäße Durchführung von Arbeitsaufträgen.

Werfen wir noch einen Blick auf die bisher übergangenen Artikel, die die Lebensform, Verhaltensweise und Selbstverständnis der Knappen bzw. Gesellen in unterschiedlicher Perspektive beleuchten. Der 2. Artikel beschreibt sehr anschaulich, wie ein fremder Wandergeselle in die Stadt kommt und bei einem Bürger als Untermieter Quartier nimmt, also nicht bei einem Handwerksmeister aufgenommen und versorgt wird. Er hat nur seine Arbeitskraft anzubieten. Man kann auch daraus ableiten, dass er ungebunden und vergleichsweise mobil war, was auf eine entsprechende Fluktuation, aber auch auf eine lockere Lebensform schließen lässt. Dies veranschaulichen die beiden folgenden Artikel, die sich um die Eingrenzung der Spielleidenschaft bemühen, die auch nicht vor dem Einsatz von Stiefeln und Schuhen oder Hemd und Hose zurückschreckt. Zu beachten ist dabei der Begriff der communitas, der Einung bzw. Gemeinschaft, den die Gesellen für ihren Zusammenschluss wählen. Die Artikel 17 und 18 weisen inhaltlich in eine ähnliche Richtung, wenn sie ihren Umgang mit Spielleuten und Schaustellern erwähnen, also sie als junge Männer vorstellen, die leichtlebig ihren Spaß suchen. Dies gilt auch für die Aussage des Artikels 14 über ihre Freude am Biertrinken. Und schließlich kann man hier noch den Artikel 7 anführen, der von der Bigamie, der Verbindung zu zwei Ehefrauen handelt. Dies scheint in ihren Kreisen öfter vorgekommen zu sein, wie es etwa die Ordnung der Tuchwebergesellen der Neustadt Brandenburg von 1407 ebenfalls besagt und sogar bei den deutschen Gesellen dieses Gewerbes in Krakau von 1428 inkriminiert wird. Einerseits ist darin sicherlich ein Ausdruck ihrer lockeren Lebensweise und Mobilität zu sehen, aber andererseits zugleich an die flinken und fleißigen Hände junger Frauen zu denken, denen als Verheiratete die Mitarbeit im Gewerbe ihres Ehemannes offensichtlich gestattet war.

 

Einordnung und Ausblick

Das Berlin-Cöllner Tuchgewerbe, das in vielen Arbeitsschritten Wolltücher genormter Qualität sowie Länge und Breite produzierte, ist klar von dem Leinengewerbe zu unterscheiden, das erst seit dem 14. Jahrhundert bezeugt ist und eine nur nachgeordnete Rolle spielte. Die Tuchmacher zählten zusammen mit den Bäckern, Fleischern und Schuhmachern zu den Viergewerken, also zu den vier zahlenmäßig großen sowie wirtschaftlich dominanten und bald auch politisch einflussreichen Innungen bzw. Gewerken (Zünften) in Berlin-Cölln wie auch in anderen märkischen Städten. Das war nicht immer, schon gar nicht von Anfang an so, denn als Berlin um 1253 der neugegründeten Stadt Frankfurt (Oder) das von Magdeburg bzw. Brandenburg abgeleitete Recht mitteilte, waren die drei anderen Gewerbe bereits organisierte, wenn auch vom Stadtrat kontrollierte Innungen. Die Tuchmacher fanden hingegen nur hinsichtlich der vom Rat ausgeübten Qualitätskontrolle Erwähnung, was allerdings ihre wirtschaftliche Bedeutung schon erahnen lässt. Das änderte sich sehr bald; schon 1295 erteilte der Rat der als Bruderschaft (fraternitas) bezeichneten Vereinigung der Tuchmacher ihre Gewerbestatuten, die die Produktion der verschiedenen Tuchsorten und den Prozess des Färbens sowie das Arbeitsrecht zum Gegenstand haben, nicht zuletzt mit Blick auf das Zusammenwirken und die Unterscheidung von Meistern und Gesellen. Wenn nun 1331 die Tuchmacherknappen eine eigene Organisation bildeten, die vom Rat als solche anerkannt wurde, dann spiegelt sich darin der Bedeutungszuwachs, wie er später (1384) nur noch von den Schuhmachergesellen erreicht wurde, die ebenfalls eine selbstständige Bruderschaft bildeten. In den Konflikten des Stadtrats mit den Viergewerken, die besonders in den Kämpfen mit den Hohenzollern als den neuen Landesherren in den Jahren 1442 bis 1448 um die Behauptung der Autonomie und Bürgerfreiheit der Stadt (vergleiche die Schlüsselquelle »Berliner Unwille«) ausgetragen wurden, stellten diese beiden Gruppen von jungen Männern zweifellos ein Kräftepotential dar, das von beiden Seiten stark beachtet werden musste. Insgesamt erlangten die Gesellen im Zusammenwirken mit den Meistern des Berliner Tuchmachergewerbes, die sich ihrerseits in einer gewissen Abhängigkeit von den Gewandschneidern befanden, mit dem Knapenbriff von 1331 ungewöhnlich früh eine Anerkennung ihrer Organisation als lohnabhängige junge Männer, die durch Mobilität und eigene Lebensformen eine – wenn auch prekäre – Sonderstellung einnahmen. Insofern unterscheidet sich das hier dargebotene Textverständnis von der Interpretation durch Eckhard Müller-Mertens (Geschichte Berlins, S. 112), nach der der Rat mit dieser Urkunde »Polizeivorschriften« erlassen habe, um die Gesellen zu »disziplinieren«, was darauf hindeute, dass »bereits in dieser Zeit das lebenslängliche Gesellentum« im Berliner Textilgewerbe verbreitet gewesen sei. Eine solche Schlussfolgerung ist dem Knapenbriff jedoch nicht zu entnehmen; über eine Erschwerung oder Beschränkung des Zugangs zum Zunftrecht und Meisterstatus erfahren wir hier nichts, umso mehr über die andersartigen Arbeits- und Produktionsbedingungen (Stichwort: Verlagswesen) im Vergleich zum normalen Handwerk.